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Exzellenzcluster BioSysteM: Biologie neu denken

22.05.2025

Der Exzellenzcluster BioSysteM von LMU und TUM will biologische Systeme mithilfe ingenieurwissenschaftlicher Prinzipien designen – damit eröffnet er neue Einblicke in die Grundprinzipien des Lebens sowie den Weg zu innovativen Anwendungen in der Praxis.

Professor Ralf Jungmann, Sprecher des Exzellenzclusters BioSysteM.

Professor Ralf Jungmann, Sprecher des Exzellenzclusters BioSysteM | © LMU / Stephan Höck

Leben ist Fabrikarbeit im Nanomaßstab: In jeder Zelle arbeiten winzige molekulare Maschinen, die Proteine herstellen, Lasten transportieren, Signale weitergeben und Strukturen aufbauen. Verbunden über komplexe Netzwerke, sind diese Maschinen präzise gesteuert und doch flexibel genug, sich an wechselnde Erfordernisse anzupassen. Lange schien diese Maschinerie des Lebens zu komplex, um sie vollständig zu verstehen – geschweige denn nachzubauen.

Aber jetzt könnte eine neue Ära beginnen: Das Wissen um die Mechanismen biologischer Systeme hat riesige Fortschritte gemacht. Neue Werkzeuge wie innovative Sequenzierungstechniken, DNA-Nanotechnologie und CRISPR/Cas erlauben es, diese Systeme gezielt zu untersuchen und zu verändern – und zwar auf allen Ebenen, vom einzelnen Molekül über die Zelle bis zu Organismen. Und auch das Protein-Design nimmt dank neuer KI-Ansätze immer mehr an Fahrt auf. „Das alles bringt uns zu einem Punkt, an dem wirklich eine Biorevolution möglich wird“, schwärmt Ralf Jungmann, Inhaber des Lehrstuhls Molekulare Physik des Lebens an der LMU und Leiter der Forschungsgruppe Molekulare Bildgebung und Bionanotechnologie am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried.

Start in die „Engineering Biology“

Der neue Exzellenzcluster BioSysteM will genau diese Revolution vorantreiben. Das Forschungsnetzwerk strebt an, eine neue Forschungsrichtung „Engineering Biology“ zu entwickeln, die biologische Systeme nicht nur imitiert, sondern designt – mit einer Logik, die auf der Natur beruht, aber deren Inventar übersteigt. „Von einzelnen Molekülen über Zellen bis hin zu makroskopischen Strukturen wie Organoiden: Unser Ansatz ist, biologische Systeme auf allen Größenskalen von Grund auf zu konstruieren“, erklärt Jungmann, gemeinsam mit Professorin Petra Schwille vom Max-Planck-Institut für Biochemie und Professor Friedrich Simmel von der TU München Sprecher des Clusters. Dies ermöglicht nicht nur einen ganz neuen Blick in die Prinzipien des Lebens, es soll auch neuen Anwendungen etwa in der Medizin oder den Materialwissenschaften den Weg bahnen.

BioSysteM ist eine gemeinsame Initiative von LMU und Technischer Universität München (TUM). Als Partnerinstitute beteiligt sind auch das Max-Planck-Institut für Biochemie und Helmholtz Munich. „Der Cluster fußt auf einer sehr langen Tradition im Münchner Wissenschaftsumfeld. Seine Keimzelle liegt in der molekularen Biophysik, wo die Partner seit jeher sehr stark sind“, sagt Jungmann. Rund 50 Arbeitsgruppen aus Physik, Chemie, Biologie, Bioinformatik und Medizin schaffen im Cluster ein interdisziplinäres Forschungsumfeld, das in vier eng verzahnte Bereiche (Research Areas) gegliedert ist.

Molekulare Bausteine und künstliche Systeme

Darstellung eines DNA-Modells vor dem Hintergrund einer Labor-Mitarbeterin

BioSysteM will biologische Systeme auf allen Größenskalen von Grund auf konstruieren. | © LMU / Jan Greune

Innerhalb von BioSysteM nimmt die Größe und Komplexität der biologischen Systeme von Area zu Area kontinuierlich zu. Den Anfang macht Area A dort, wo alles beginnt: bei den molekularen Bausteinen des Lebens. Im Zentrum stehen DNA-Nanotechnologie und Proteindesign, um modulare Plattformen zu schaffen, die robust funktionieren. Die Vision: maßgeschneiderte Nanofabriken, in denen in einer molekularen „Montagelinie“ Einzelteile wie DNA-Origami-Strukturen oder Proteine zu molekularen Maschinen oder Motoren zusammengefügt werden. Um die Reproduzierbarkeit zu gewährleisten, will der Cluster auch bei der Dokumentation Standards setzen: „Für jeden molekularen Baustein und jedes molekulare Design werden wir Datenblätter und Protokolle veröffentlichen, sodass sie von allen Forschenden innerhalb und außerhalb des Clusters eingesetzt werden können“, sagt Jungmann. „So schaffen wir echte Engineering Biology.“

In Area B geht es darum, solche molekularen Bausteine mit einfachen Zellbestandteilen wie Zytoskelettproteinen und Lipidmembranen zu kleinen künstlichen Systemen zusammenzusetzen, die erste Eigenschaften lebender Zellen nachahmen. Solche minimalen Modelle helfen, grundlegende biologische Prozesse zu verstehen: Wie entstehen Muster und Formen? Wie können biomolekulare Prozesse so programmiert werden, dass komplexe Strukturen entstehen? Langfristig streben die Forschenden den Aufbau einer künstlichen Protozelle an – fähig zu Wachstum und Teilung.

Zelluläre Kommunikation und Organoide

Werden in den Areas A und B molekulare Komponenten noch isoliert betrachtet, steht in Area C die Zelle und dabei insbesondere die Kommunikation innerhalb und zwischen Zellen im Mittelpunkt. Ein zentrales Ziel ist es, die in den Areas A und B entwickelten molekularen Bausteine und Werkzeuge in Zellen zu integrieren und die Zellen so zu programmieren, dass sie neue Aufgaben übernehmen können – etwa als Sensoren, zur gezielten Wirkstoffabgabe, zur Ausführung biologischer Funktionen oder zur kontrollierten Kommunikation mit ihrer Umgebung.

Am oberen Ende der Größenskala schließlich arbeiten die Forschenden in Area D: Sie beschäftigen sich mit Organoiden, also im Labor erzeugten organähnlichen Strukturen. Mithilfe von molekularen Werkzeugen, wie sie auch in den Areas A und B zum Einsatz kommen, soll die Bildung und Funktion der Organoide gezielt gesteuert werden. Gleichzeitig dienen die Organoide als Testsystem für diese Werkzeuge und für mögliche Anwendungen. „Mit den Organoiden untersuchen wir wirklich komplexe Strukturen, die neue Ansätze in Diagnostik und Therapie ermöglichen können“, sagt Jungmann.

Um das große Ganze im Blick zu halten, widmen sich zudem vier Fokusgruppen (Research Themes) fundamentalen Fragestellungen, die wie ein roter Faden alle Ebenen des Clusters durchziehen: Wie Signale weitergegeben oder Kräfte übertragen werden beispielsweise, spielt für alle biologischen Systeme eine Rolle. Die Fokusgruppen sollen daher ein Diskussionsforum darstellen, das unter anderem mit Workshops und Seminaren für die Quervernetzung der Areas sorgt. „Es war uns ganz wichtig, dass keine Siloforschung betrieben wird“, erklärt Jungmann. Denn: Wer wirklich verstehen will, wie Leben funktioniert, muss wissen, wie alles zusammenwirkt.

Von Forschung zu Anwendung: Mission Driven Projects

Probenflüssigkeit wird mit einer Pipette auf eine Platte aufgetragen.

M-Projekte sind Vorhaben mit klarer translationaler Perspektive, die in Ausgründungen und Anwendungen münden sollen. | © LMU / Jan Greune

BioSysteM ist in erster Linie ein Grundlagenforschungsprojekt – aber eines mit Blick für Anwendungen. Für den Transfer in die Praxis stehen die sogenannten „Mission Driven Projects“ oder kurz M-Projekte: Thematisch fokussierte Vorhaben mit klarer translationaler Perspektive, die ebenfalls clusterübergreifend arbeiten und für die fast ein Fünftel des Budgets vorgesehen ist. „Die M-Projekte sind ein ganz neuartiges Konzept“, betont Jungmann. „Wir wollen Flagship Challenges definieren, die später in Ausgründungen und echte Anwendungen, etwa in der Medizin und den Materialwissenschaften, münden.“ Unterstützt werden die M-Projekte von unternehmerischen Kooperationspartnern und Entrepreneurship-Zentren, die dazu beitragen, vielversprechende Ideen aufzuspüren und in die Praxis umzusetzen.

Als Erstes geht ein Projekt an den Start, das sich der Entwicklung zielgerichteter Immun-Therapeutika gegen Krebs verschrieben hat. Dabei analysieren die Forschenden die Oberfläche von Zellen mit hochauflösender Mikroskopie, um charakteristische Rezeptor-Muster zu erkennen – eine Art molekularer Fingerabdruck. Anschließend sollen winzige Nano-Agenten entwickelt werden, die gezielt an Krebszellen andocken und das Immunsystem auf sie ansetzen. Solche hochspezifischen Wirkstoffe könnten nicht nur besser wirken, sondern auch weniger Nebenwirkungen haben als heutige Behandlungen, hoffen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Soziale und ethische Implikationen: Dialog mit der Gesellschaft

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Über das Engineering hinaus behält der Cluster aber auch die gesellschaftlichen und ethischen Implikationen zukünftiger Entwicklungen im Blick. Ein PostDoc aus den Sozialwissenschaften wird in die M-Projekte eingebunden sein und die sozialen und ethischen Herausforderungen analysieren, die sich ergeben, wenn Grundlagenforschung zur Anwendung übergeht. Und auch die Öffentlichkeit ist eingeladen, mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über die Zukunft der Biosystemforschung zu diskutieren. Als Brücken in die Öffentlichkeit dienen die „Biomolecular Design Studios“: Maker-Spaces und Experimentierräume, in denen Studierende, Schulklassen und interessierte Bürgerinnen und Bürger Einblick in die Forschung erhalten. Hier können sie erleben, wie Proteine entworfen oder DNA-Strukturen simuliert werden, und dabei auch selbst Hand anlegen und experimentieren und so ein Stück weit ebenfalls zu Architekten und Architektinnen von Nanofabriken der Zukunft werden.

„Mit unserem Projekt rücken wir der Vision einer molekularen Montagehalle, die an verschiedene Anforderungen angepasst werden kann, ein großes Stück näher“, resümiert Jungmann. „Ein Cluster ist immer auch eine Leuchtturm-Initiative, die ein neues Feld definiert. BioSysteM will das Konzept der synthetischen Biologie noch einmal auf eine neue Ebene heben und ganz neue Möglichkeiten eröffnen.“

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